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Wenn man sich die Entwicklung der Aktienmärkte in den letzten Monaten ansieht und die daraus resultieren extremen Bewertungen, so könnte man sich ernsthaft fragen: Haben die Anleger nichts aus der Vergangenheit gelernt, trotz vieler unemotional reagierender Computersysteme? Frisst Gier immer Hirn? Oder gibt es vielleicht doch einen kleinen Unterschied zu den Bubbles der Vergangenheit? Eine kleine Ursachensuche..

Aktienmärkte, Notenbanken und die Zinslandschaft

Ohne jetzt das vielfach beschriebene Argument für den jetzigen Zustand unendlich breit treten zu wollen, ja es sind erster Linie die Notenbanken verantwortlich für ein gestörtes Verhältnis zwischen Anleihe- und Aktienmärkten, welches jahrzehntelang ein korrektives Wechselspiel darstellte, um Übertreibungen an den Märkten zu korrigieren. Wo lagen die Zinssätze bei den letzten beiden Aktienmarkt-Bubbles 2000 und 2009 in den USA? Bei 6% beziehungsweise bei 4,7%. Dies bedeutete ein KGV der Anleihen von 16,6 und 21,2, überteuerte Aktienmärkte zu meiden war damals durchaus eine renditeträchtige Option. Und heute?

Was sollen denn Vermögensverwalter tun, denen täglich Millionen Dollar an frischem Kapital auch auf verschiedensten Sparplänen von Konsumenten anvertraut wird? Was sollen sie mit dem Geld machen? Auf dem Geldmarkt parken, um dann hoffnungslos hinter passiven Märkten hinterherzulaufen?

Das wird nicht lange klappen – und der Kunde wird sein Geld abziehen. Was haben wir in den letzten Monaten sehen müssen? Pain Trades ohne Ende, nicht zuletzt wird diese Rally als die „meistgehasste“ Hausse der Aktienmärkte in der Geschichte bezeichnet. Geldverwalter, Ökonomen, Analysten und selbst der fachkundige Kleinanleger verzweifeln an einer Lage, für die es seit dem Weltkrieg keine Blaupause gibt.

Und das in zweierlei Hinsicht: Noch nie lagen die Zinsen weltweit auf einem so tiefen Niveau, mit erst kürzlich erreichten 15 Billionen Dollar an Anleihen, die mit einem Negativzins notierten. Und noch nie gingen Notenbanken so aggressiv vor und kauften Anleihen aller Güteklassen und sogar Aktien (Japan und die Schweiz).

Hier der letzte Stand der gigantischen Ausweitung der Notenbanken-Bilanzen (Quelle statista):

Europäische Zentralbank: 7684 Mrd. Dollar
Federal Reserve: 7011 Mrd. Dollar
Bank of Japan: 6305 Mrd. Dollar
Insgesamt über 20 Billionen USD und nur von drei Notenbanken.

Aktienmärkte und künftig abdiskontierte Gewinne

Damit senkten die Notenbanken nicht nur den Zins, sie zertrümmerten diese Anlageklasse sogar regelrecht. Zudem nahmen die großen westlichen Notenbanken unmittelbar Einfluss auf die Aktienmärkte. Zinsen haben seit immer Effekte auf die Aktienmärkte, da sie zur Abdiskontierung künftiger Gewinne und Dividenden verwendet werden. Fallen die Zinssätze, steigen die Gegenwartswerte und damit die Aktienkurse. Besonders in diesem Jahr und speziell in den USA, nach dem Auftauchen von COVID-19.

Die Rendite der zehnjährigen US-Treasury ist 2020 bis auf fast 0,50 Prozent gefallen (aktuell 0,73 Prozent), noch vor zwei Jahren bekamen Anleger teilweise mehr als drei Prozent. Das bedeutet:

Das KGV des wichtigsten Zinssatzes der Welt ist von 33 auf derzeit fast 140 gestiegen. Damit erscheinen die KGVs der Aktienmärkte (Einzelwerte wie etwa Tesla ausgenommen) fast schon moderat.

Da der Zins den Preis für die Zeit darstellt, verzerrt sich diese Korrelation bei Nullzinsen ins Absurde. Zukunftserträge müssen nicht mehr teuer abgezinst werden, künftige Erträge über die Aktienmärkte werden immer wertvoller. Für mich ist das das entscheidende Argument, warum gerade die Wachstumswerte in so schwindelige Höhen gelaufen sind.

Das Dilemma der Vermögensverwalter in anderen Worten:

Wenn es also keinen Zins mehr gibt, dann werden künftige Gewinne durch Aktien immer wertvoller. Ein Vergleich mit der Vergangenheit mit Zinssätzen von fünf Prozent am Kapitalmarkt muss hinken, ein Ratio Aktienmärkte – Realwirtschaft von 190 Prozent ist dabei eine zwangsläufige Folge.

Die einzige Frage, die sich dabei stellt ist, wie lange so etwas gutgehen kann?

Viele „historisch“ argumentierende Anleger haben in den letzten Monaten „zunächst“ einmal für die Datenvergleiche bluten müssen, vor allem mit Put-Spekulationen. Selbst Warren Buffet hat mit seinen „wachstumsschwachen“ Value-Werten Tribut zollen müssen, allerdings hat er einen der großen Nutznießer der Zinsanomalie, Apple, in seinem Depot –  mit einer allerdings auch schon wieder ungesunden Gewichtung.

Fazit

Wir leben zweifelsohne in einer Phase der Übertreibung. Perioden, in dem Anleger wie einige RobinHooder über Wochen hinweg mit gehebelten Produkten auf exponentiell gestiegenen Aktien zweistellige tägliche Gewinne einfahren konnten, werden immer korrigiert – dafür sorgen schon Faktoren wie Gier, Spekulation auf Kredit, Margin Calls und die unbarmherzig zuschlagende Finanzmathematik beim Einsetzen einer Korrektur. Aber die Gesamtheit der Aktienanlage von mindestens 91 Billionen Dollar nur der Unvernunft der Investoren weltweit zuzuschreiben, wird der gegenwärtigen Lage auch nicht gerecht. Wir haben derzeit eine unheimlich manipulierte Situation an den Anleihemärkten, dem Konkurrenzprodukt zu den Aktienmärkten und deren natürliches Korrektiv.

Ich weiß, es klingt geradezu hirnrissig: aber unter diesen Rahmenbedingungen sind Aktien gar nicht so überteuert (ausgenommen Tesla und Co.). KGV S&P 500 versus KGV 10-jährige US-Treasury. Gesund ist das nicht und auch nicht auf Dauer haltbar. Aber wer kennt Zeitpunkt und Anlass des Game Changers?

 

 

Sind die Kursanstiege der Aktienmärkte wirklich irrational?

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