Jetzt ist es nur noch ein Börsentag bis zum für die Aktienmärkte statistisch schlechtesten Börsenmonat des Jahres: Im Durchschnitt aller Jahre brachte der September beim S&P 500 ein Minus von etwa einem Prozent – und nur die Monate Februar und Mai sahen in seiner Historie auch noch ein winziges Minus. Dennoch hatten wir aber zuletzt in den Jahren 2018 und 2019 kleine Gewinne – die Macht von „TINA“ beziehungsweise der Geldflut der Notenbank? Aber im Corona-Jahr 2020 kommt man mit historischen Gesetzmäßigkeiten bisher nicht weit. Geht die von den Bigtech-Werten gespeiste Rally der Aktienmärkte einen weiteren Monat weiter – oder kommt es vielleicht zu einer kleinen Auferstehung von Value?
Aktienmärkte: Grandiose Hochsommermonate
Kurz vor dem Ende des meteorogischen Sommmers (auch des Börsensommers?) legte der S&P 500 noch einmal richtig zu – plus 3,3 Prozent in der letzten Woche, sechs Tage in Folge neue Rekorde. Damit erzielte der Index eine Performance von 13 Prozent in Juli und August und insgesamt 60 Prozent seit seinem Tief im März. Der Monat August wird damit nicht nur der fünfte Anstiegsmonat in Folge, sondern sogar der beste August seit 1986 (Dow seit 1984, Nasdaq seit 2000). Auch für unseren DAX gab es ein sechsprozentigen Anstieg in diesem Monat.
Offizielle Begründung der Analysten für den Wochenanstieg:
Besser als erwartete Daten über private Einkommen und private Ausgaben nährten die Geschichte einer konjunkturellen Erholung. Unterstützend wirke auch die neue Fed-Politik, eine höhere Inflation zuzulassen, ohne die Zinsen anzuheben, bis wieder Vollbeschäftigung hergestellt wurde.
Was das bewertungstechnisch für Folgen hat – in punkto KGV, Marktbreite, Warren Buffett-Indikator, Relation zur Wirtschaftsleistung u.v.m. -, darüber gibt es unzählige Videos und Kommentare.
Aber gibt es im S&P 500 eigentlich nur noch die Tech-Werte und sonst stagnierende Aktienmärkte in allen restlichen neun Sektoren, wenn man die Biotech- und Pharmatitel aus dem Bereich Healthcare einmal ausnimmt?
Die Performance des Dow Jones Transports und des Russel 2000
Plus 14,5 Prozent stieg der Dow Jones Transports im Monat August bisher und damit stärker als der S&P 500, von Ende Juni bereits sogar fast 30 Prozent. Was heißt das? Der Dow Jones Transportation Average umfasst die größten 20 Transportunternehmen an der New York Stock Exchange und gilt als vorlaufender Indikator der US-Konjunktur und damit auch für die Aktienmärkte.
Mit Werten von der Alaska Air Group (Fluggesellsschaft) bis hin zu United Parcel Service (Lieferservice): Physische Waren aus dem Produktionssektor müssen wie zu allen Zeiten transportiert werden, zu Land, zu Wasser oder in der Luft.
Die steigenden Kurse des Dow Jones Trabsports sind ANzeichen für eine anspringende US-Konjunktur, allen ständigen Unkenrufen zum Trotze, unabhängig von Google, Facebook, Microsoft oder Netflix, mit ihrem digitalen Business. War kürzlich der Frühindikator der Durable Goods Orders nicht auch stark angestiegen? Aber selbst die Aktienmärkte zeigen schon Anzeichen der Erholung außerhalb der Techwerte: Der Nebenwerte-Index Russel 2000 ist im August bereits sechs Prozent gestiegen, fast so viel wie der S&P 500 mit Apple und Co.
Fehlt noch der Bankensektor, ohne den eine breite Erholung nicht möglich sein wird.
Letzten Donnerstag wurde in Jackson Hole durch den Chef der US-Notenbank Jerome Powell eine kleine Kursänderung vorgenommen, indem die US-Notenbank eine höhere Inflation als zwei Prozent zulassen will, die Zinsen dennoch niedrig belässt, bis wieder Vollbeschäftigung hergestellt ist. Ein kleiner Schub für höhere Kapitalmarktzinsen, worauf die Anleihezinsen gleich von 0,63 auf 0,73 Prozent gestiegen waren. Nicht gut für Verbraucher, aber gut für die Banken, die bereits bei kleinen Änderungen profitieren.
Ergo: Die Branchenrotation könnte kommen, still und auf leisen Sohlen. Denn wenn von dieser Branchenrotation berichtet wird, sind die ersten zehn Prozent schon gelaufen, so war es immer.
Dies hat nun wenig mit einem möglichen Rücksetzer der Aktienmärktezu tun. Die Kurssteigerung der FAANG-Aktien haben mit realwirtschaftlichen Umsatz und Gewinnsteigerung in letzter Zeit nichts mehr zu tun gehabt.
Aber für einen Favoritenwechsel wird nicht geläutet.
Was bringt diese Woche?
Die Saison für Quartals-Unternehmensergebnisse ist weitgehend beendet, die schlechtesten Quartalszahlen für die Konjunktur in den Industrieländern seit einem langen Menschenleben sind publiziert, so dass das Augenmerk auf Frühindikatoren wie neue Einkaufsmanagerindizes und Auftragseingänge, Covid-19 und dem Thema Impfstoff liegen wird und speziell auf der Entwicklung der Arbeitslosenzahlen in den USA.
14,7 Prozent Arbeitslosigkeit lautete der offizielle Höchststand im April (wohl eher 20%), seither setzte lockerungsbedingt eine Erholung ein, die aber in den letzten Wochen an Fahrt verloren hat.
Am kommenden Freitag kommen wieder die monatlichen – nicht sehr validen aber medienwirksamen – Arbeitsmarktzahlen, tags zuvor aber schon die wöchentlichen Erstanträge „Jobless Claims“. Börsenrelevant oder ein Non-Event wegen der Federal Reserve? Bisher führten Veränderungen in beide Richtungen zu einer Reaktion – steigenden Kursen der Aktienmärkte: Bei steigenden Arbeitslosenzahlen keimte die Hoffnung auf weitere fiskalische Stimuli auf, bei sinkenden Zahlen die Erwartung einer wirtschaftlichen Erholung.
Sporadisch sollte es natürlich auch immer wieder die Meldungen von der Wahlfront geben, allerdings mit entsprechend geringer Halbwertszeit.
Fazit
Fast genau neun Wochen vor der Wahl zum alten oder neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten stellt sich vor dem verflixten Monat September die Frage, ob es Regierung und Notenbank gelingen wird, die Kurse der Aktienmärkte vor einer überfälligen Korrektur zu bewahren? Heute ist der Tag der Umsetzung der Aktiensplits von Apple und Tesla. Werden Anleger tatsächlich noch einmal auf den Zug aufspringen, angesichts optisch niedriger Kurse? Oder wird man irgendwann registrieren, dass bei dem mit Abstand größten Index der Welt, dem S&P 500 mit seiner Marktkapitalisierung von über 29 Billionen US-Dollar, allein Apple für drei der sieben Prozent Wachstum im Monat August verantwortlich war? Eine Korrektur des steilen Anstiegs der Aktienmärkte wird kommen müssen, in den Wochen vor der Wahl – eine Fortschreibung der Charts würde in gewaltige Höhen führen, nach einem Kursanstieg von 30 Prozent der Billionen-Dollar-Aktie binnen eines Monats (bei Tesla waren es sogar 45 Prozent).
Denn sonst wären wir kurstechnisch endgültig in „Extremistan“ angekommen, wie es Nassim Taleb bezeichnen würde. Wobei man zur eingangs gestellten Frage zurückkehren könnte, ob es zu einer Branchenrotation der Aktienmärkte kommen kann, die eine Korrektur der großen US-Tech-Aktien abfedern kann?
Es sind zweifelsohne ein paar Ansätze vorhanden – kein Aufschwung der Industrie ohne den Transportsektor, aber wohl auch nicht ohne den Bankensektor mit seiner Funktion des Schmiermittels. Aber um die Kräfte zu mobilisieren, die dafür am Markt notwendig wären, bräuchte es eine Grundvoraussetzung: Die Eindämmung von Covid-19, in welcher Form auch immer..
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