Am 30. April tagt die EZB erstmals ausschließlich via Telefonkonferenz. So ungewöhnlich wie dieses Meeting dürften auch die weiteren Entscheidungen der obersten Währungshüter der Eurozone ausfallen. Das Volumen und die Art der Maßnahmen sprengen schon jetzt bei Weitem den Rahmen konventioneller Geldpolitik.
Der eigentliche Job der EZB
Gemäß ihren Statuten, geregelt im Vertrag über die Europäische Union, soll die Europäische Zentralbank Maßnahmen ergreifen, um die Geld- und Kreditversorgung unter Beachtung der gesamtwirtschaftlichen Ziele sicherzustellen. Dabei steht vor allem die Geldwertstabilität im Fokus, die bei durchschnittlich zwei Prozent jährlicher Steigerung des Verbraucherpreisindex (HVPI) per Definition der Währungshüter als erreicht gilt. Die als „konventionell“ bezeichnete Geldpolitik zielt also auf die Gestaltung des „optimalen“ Leitzinses ab, was per se schon anmaßend und wider die Gesetze der freien Marktwirtschaft ist. Der Preis des Geldes, also der Zins, ist im Kapitalismus der wichtigste Preis überhaupt. Der Findungsmechanismus des Preises für Geld (Kreditzins) wurde vom Markt auf ein Zentralkomitee aus Bürokraten verlagert.
Über Transfermechanismen am Kapitalmarkt soll die EZB über den „optimalen“ Leitzins direkt Einfluss auf die Realwirtschaft nehmen, in dem sie die Finanzierungskosten für Investitionen und Konsum senkt oder erhöht. Außerdem kann sie über den Mindestreservesatz die Geldschöpfungsmöglichkeiten der Geschäftsbanken via Teilreservesystem steuern. Aktuell müssen die Kreditinstitute in der Einflusssphäre der EZB nur 1 Prozent als Mindestreserve bei der Zentralbank vorhalten.
Die Mutter aller Tabubrüche
Als im Zuge der Finanzkrise die Transmissionsmechanismen am Kapitalmarkt nicht mehr funktionierten, weil der Markt komplett einfror und die Banken sich gegenseitig nicht mehr vertrauten, führte die EZB die sogenannte „unkonventionelle“ Geldpolitik ein. Dies bedeute im Grunde noch mehr Eingriffe in den Zinsbildungsmechanismus bis hin zur totalen Verzerrung des freien Kapitalmarktzinses in den negativen Bereich. Darüber hinaus begann die EZB einen noch schwerwiegenderen Tabubruch, der jedoch bis heute keine rechtlichen Konsequenzen hat. Die Zentralbank begann zur Rettung der Eurozone Staatsanleihen von Ländern aufzukaufen, die von privaten Investoren kein Kapital mehr zu tragbaren Zinssätzen erhielten und bis heute nicht erhalten.
Die EZB darf aber keine Kredite an Einrichtungen der EU oder nationale Einrichtungen öffentlichen Rechts vergeben. Höchstrichterlich wurde dieses Tabu jedoch damit abgesegnet, dass die EZB schließlich nicht direkt Schulden von Staaten kauft, sondern am Sekundärmarkt über zwischengeschaltete Strohleute, also Geschäftsbanken. Natürlich ohne Risiko für diese Strohleute, sekundenschnell und mit einer auskömmlichen Marge für die Banken.
Die Große Heuchelei
Zwar verfügen alle 19 Mitgliedsstaaten als souveräne Nationen über eigene Zentralbanken. Doch seit dem 1. Januar 1999 ist die EZB allein zuständig für die Geldpolitik im Euro-Währungsgebiet. Die Aufgabe der nationalen Zentralbanken beschränkt sich seitdem auf die Ausführung der Geldpolitik im Auftrag der EZB. Die geldpolitische Souveränität der Nationalstaaten wurde somit im Wesentlichen aufgegeben.
Dies führt dazu, dass die EZB-Politik im Interesse der schwächsten Mitglieder der Eurozone macht, um die Zentrifugalkräfte des starren Eurosystems für Staaten mit komplett unterschiedlichen ökonomischen Gegebenheiten unter Kontrolle zu halten und das Ausscheiden der schwächsten Mitglieder und damit einen Dominoeffekt bis hin zum Zerfall der Währungsunion zu verhindern. Die Kritik aus den Zentralbanken einiger Mitgliedsstaaten gegen diesen Tabubruch der Staatsfinanzierung über die digitale Notenpresse der EZB war daher stets symbolischer Natur, ebenso wie der Rücktritt von nationalen Notenbankchefs aus Protest gegen die „unkonventionelle“ Geldpolitik.
Nach Artikel 130 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ist die EZB offiziell unabhängig von Organen, Einrichtungen, sonstigen Stellen der Union oder Regierungen der Mitgliedstaaten.
In Wahrheit, und das Verschweigen die Politiker der Mitgliedsstaaten gern, war jeder Protest, auch aus Deutschland, pure Heuchelei. Denn erstens wird das administrative Personal der EZB von den Regierungen der Anteilseigner der EZB eingesetzt und zweitens war und ist jedem Regierungsmitglied der Mitgliedsstaaten bewusst, dass es ohne die „unkonventionelle“ Geldpolitik der EZB spätestens seit dem beinahe Kollaps des Marktes für südeuropäische Staatsanleihen im Sommer 2012 keine Eurozone mehr geben würde – was natürlich auch für die Karrieren der verantwortlichen Politiker und Notenbanker gilt. Bis hin zur Neuschreibung der Geschichtsbücher, in denen die Einführung des Euro nach wie vor als Akt des Friedens und des Fortschritts glorifiziert wird. Aber Geschichtsbücher lassen sich nach dem Scheitern des Euro postum umschreiben.
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