Dass wir noch einmal einen Ölpreis wie vor 50 Jahren erleben werden, hätte wohl in Zeiten von Peak Oil niemand gedacht. Und doch ist es so. Gestern wurde Öl der Sorte Western Canadian Select für nur 3,82 US-Dollar pro Barrel gehandelt. Ein Liter kostete somit nur noch 2,4 Cent. Negative Ölpreise sind inzwischen nicht mehr undenkbar. Der große Bruder aus dem Süden WTI kratzte gestern an der 20 Dollar-Marke.
Oft höre ich das Argument, der Ölpreis könne nicht unter die Marke von X US-Dollar fallen, weil das die Produktionskosten eines bestimmten Landes oder eines gewissen Unternehmens seien. Doch so funktioniert der Markt nicht. Die Käufer interessieren sich überhaupt nicht dafür, zu welchem Preis ein Produkt produziert werden kann. Wenn es genügend Alternativen gibt, die billiger sind, dann hat ein Land oder Unternehmen mit höheren Produktionskosten schlicht und ergreifend Pech gehabt. Entweder es geht mit dem Preis runter, oder es bleibt auf dem Öl sitzen. Da jedoch ein Unternehmen oder sogar Land die Ölförderung nicht im Minutentakt einstellen und wieder anfahren kann, müssen im schlimmsten Fall Ölverkäufe unter den Gestehungskosten abgewickelt werden.
Und genau das dürfte heute in Kanada geschehen sein. Die Ölsorte Western Canadian Select ist von geringerer Qualität als zum Beispiel West Texas Intermediate (WTI). Diese geringere Qualität war schon immer für einen Preisabschlag verantwortlich. Zusätzlich kommen deutlich höhere Transportkosten für kanadisches Öl vom Produzenten bis zum Verarbeiter in den USA hinzu. Auch das bedingte einen Preisabschlag.
Öl-Tanker werden zu schwimmenden Öllagern umfunktioniert
Nun trifft eine deutlich reduzierte Nachfrage nach Öl auf ein gestiegenes Angebot am Markt, da Saudi-Arabien die Ölförderung erhöhte. Die Folge ist, dass nun qualitativ minderwertigeres kanadisches Öl mit höherwertigem Öl konkurriert, das in ausreichender Menge verfügbar ist, um die Nachfrage allein zu decken. Um überhaupt noch Öl loszuwerden, sank der Ölpreis für kanadisches Öl somit auf einen atemberaubenden Tiefstand von lediglich 3,82 US-Dollar.
Solche Niedrigpreise hatten nun zur Folge, dass Ölbroker händeringend nach freien Öllagerkapazitäten suchten. Vor einem Monat sagten Branchenkenner noch, dass es zwar erste Anfragen für Öltanker zu Lagerzwecken gäbe, aber noch keine Geschäftsabschlüsse. Inzwischen hat sich die Lage komplett geändert. Wer jetzt als Reeder Öltanker besitzt, macht das Geschäft seines Lebens. Die Terminkurve der Ölfutures ist so steil, dass Ölbroker nahezu jeden Preis für Öltanker bezahlten. Sie kauften Öl zu Niedrigstpreisen, ließen es sich liefern, pumpten es in einen geliehenen Öltanker, verkauften gleichzeitig Öl-Futures mit Lieferdatum in der Zukunft und lassen den voll beladenen Öltanker bis zum Lieferdatum irgendwo vor Anker gehen. Mit dem Abstand im Ölpreis zwischen sofort lieferbarem Öl und Öl mit Lieferung zum Beispiel in einem halben Jahr konnten die Miete für den Tanker beglichen und noch ein risikofreier Gewinn erzielt werden.
Die Miete eines Supertankers der Größenklasse VLCC hat sich seit vergangenem Mittwoch verdoppelt und seit Freitag um rund 50% erhöht. Sie beträgt derzeit 180.000 US-Dollar pro Tag. Ende Februar lag der Preis hingegen nur bei rund 20.000 US-Dollar. In einen solchen Tanker passen etwa 2 Millionen Barrel Rohöl. Der Preisabstand pro Barrel Öl (159 Liter) der Sorte WTI zwischen Lieferung am 20. April und Lieferung am 21. September beträgt 12 US-Dollar. Die Rohmarge beträgt also pro Tanker 24 Millionen US-Dollar, die große Banken derzeit zinsfrei bei den Notenbanken leihen können. Davon abzuziehen sind 27 Millionen US-Dollar für die Miete des Tankers. Derzeit ist es also nicht mehr lohnend, Öl zu lagern. Jedenfalls nicht bei der Sorte WTI. Bei Ölsorten mit größerem Preisabstand kann es sich nach wie vor lohnen.
In Kanada ist inzwischen ein negativer Ölpreis denkbar
Übrigens profitieren auch Sie als Ölverbraucher von solchen Arbitragegeschäften. Sie führen dazu, dass sich die Preise für Öl jetzt stabilisieren und weniger Anbieter aus dem Markt gekegelt werden. Springt die Konjunktur und damit die Ölnachfrage wieder an, stehen somit mehr Unternehmen im Wettbewerb, was tendenziell preisdämpfend wirkt. Zudem steht in der Zukunft eine größere Ölmenge zur Verfügung, die ebenfalls den Preisanstieg dämpft.
Und wie kann es nun zu negativen Ölpreisen kommen? Nun, die Lieferung kanadischen Öls zu den Raffinerien im Süden der USA per Pipeline kostet pro Barrel zwischen sieben und neun US-Dollar. Sollte der Ölpreis des qualitativ besseren texanischen Öls also unter 10 US-Dollar fallen, dann wäre es nicht mehr rentabel, für kanadisches Öl irgendeinen Preis zu zahlen. Da die Lagerkapazitäten in der Nähe der Förderstätten längst gefüllt sein dürften, müssten zumindest die bis zur Produktionseinstellung geförderten Ölmengen verschenkt und für deren Abtransport sogar noch etwas bezahlt werden. Das wäre ein negativer Ölpreis.
Ölsand-Felder in Kanada. Foto: Howl Arts Collective – Flickr: tar sands, Alberta CC BY 2.0
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