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Symbolbild für das Coronavirus

Die ökonomischen Folgen des Coronavirus werden die bereits schwächelnde Weltwirtschaft stark belasten. Die besondere Herausforderung für die Geldpolitik besteht in der Fragilität des Finanzsystems. Die globale Überschuldung könnte zu nicht mehr kontrollierbaren Pleitewellen bei Staaten, Banken, Unternehmen und Privathaushalten führen. Was können die Notenbanken dagegen tun?

Das Coronavirus ist gekommen, um länger zu bleiben

Kurzfristig bedeutet das Coronavirus vor allem menschliches Leid für die Betroffenen und eine psychologische Belastung für alle anderen. Der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité erwartet eine Infektionsquote von 60 bis 70 Prozent in Deutschland. Das Coronavirus wird also möglicherweise eine Zeit lang Teil unseres Lebens bleiben. Pharmakologen und Virologen erwarten erst für Ende dieses Jahres oder Anfang nächsten Jahres wirksame Impfstoffe, sodass sich die Epidemie sehr wahrscheinlich zu einer weltweiten Pandemie ausweiten wird. Noch deutlich mehr Zeit wird die Entwicklung und Zulassung von wirksamen Medikamenten in Anspruch nehmen. Normalerweise umfasst der Prozess von der Idee bis zur Zulassung eines Medikaments im Schnitt einen Zeitraum von 13 Jahren. Allerdings fangen die Pharmaindustrie und die medizinische Forschung in diesem Fall nicht bei null an.

Dennoch kann es auch bei einem notfallbedingt beschleunigten Entwicklungs- und Zulassungsprozess noch mehrere Grippesaisons dauern, bis ein wirksames Gegenmittel auf dem Markt verfügbar ist. Solange kann das Coronavirus sich weiter ausbreiten und Leben gefährden – wie übrigens jedes Grippevirus. Der wesentliche Unterschied liegt in der Gefährlichkeit des Coronavirus. Gemäß den Aussagen von RKI-Präsident Lothar Wieler, liegt die Wahrscheinlichkeit, an einer Grippe zu sterben, bei ein bis zwei Promille der Infizierten. Bei dem neuartigen Coronavirus „Covid-19“ liegt die Mortalitätsrate aktuell weltweit dreiundzwanzig Mal höher. Wobei die Sterblichkeitsquote in China wegen der dort weniger gut ausgebauten medizinischen Versorgungsinfrastruktur deutlich höher ist als bei uns im Westen.

Vor welche ökonomischen Herausforderungen stellt uns das Coronavirus?

Eine ganz andere Gefahr der Ansteckung droht auf der wirtschaftlichen Ebene. Das Thema Überschuldung und die Abhängigkeit der Konjunktur von noch mehr Verschuldung haben wir bereits mehrfach thematisiert. Anfang Januar, also noch vor dem Ausbruch der Epidemie, warnte die Weltbank vor einer neuen Finanzkrise in Folge des weltweit größten Schuldenzuwachses seit 50 Jahren. Das ifo Institut sieht gar die Gefahr, dass das Coronavirus das Potenzial hat, die Weltwirtschaft zum Erliegen zu bringen. Ganz aktuelle Zahlen vom Statistikamt aus Peking sind eine Indikation dafür, wie stark das Coronavirus die Wirtschaft belastet: Der offizielle Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe fiel im Februar 2020 auf den tiefsten jemals gemessen Punktestand von 35,7.

Damit wurde sogar der bisher niedrigste Wert aus der Finanzkrise vom November 2008 unterboten. Werte unter 50 signalisieren Kontraktion. Über das Phänomen der „Schwarze Schwäne“, also unvorhersehbarer Ereignisse, die das Finanzsystem zum Kollabieren bringen können, wurde ebenfalls bereits viel niedergeschrieben (Buch: Wenn schwarze Schwäne Junge kriegen von Markus Krall). Doch nun ist er da, der „Schwarze Schwan“ und es stellt sich konkret die Frage, wie auf ökonomischer Ebene damit umgegangen werden kann?

Die aktuellen ökonomischen Herausforderungen sind:

Unterbrechung von Lieferketten
Lieferverzögerungen
Einnahmeausfälle (Staaten, Unternehmen, Bürger)
Verschlechterung der Kreditportfolios der Banken
Zurückhaltung der Banken bei der Kreditvergabe
Drohende Pleitewellen
Rückgang des Konsums
Einbrechende Unternehmensgewinne
Wirtschaftliche Stagnation
Mangel-Inflation (Gütermangel)
Rückläufiger Welthandel
Rückläufige Beschäftigung
Rezession
Abwärtsspirale

Um diesen, durch das Coronavirus bereits ausgelösten Dominoeffekt zu stoppen oder zumindest zu verlangsamen, kann die Geldpolitik eine Reihe von Maßnahmen ergreifen. Doch das Virus selbst kann sie nur indirekt bekämpfen – durch finanzielle Unterstützung für die Gegenmaßnahmen.

Der Druck auf die Zentralbanken wächst

Noch vor Kurzem hielten sich die Notenbanker in den Industrienationen mit der Ankündigung oder gar Implementierung von Hilfsmaßnahmen für die Finanzmärkte und die Realwirtschaft zurück. Politische Rhetorik dominierte hier die Pressemeldungen. Doch das ändert sich nun. Bereits am Freitag machten Vertreter der Europäischen Zentralbank (EZB) sowie der Präsident der US-Notenbank (Fed), Jerome Powell, deutlich, dass sie die aus der Virusepidemie resultierenden Belastungen sehr genau beobachten und wenn nötig angemessen reagieren. Hier das Statement vom Freitagabend von Jerome Powell im Original. Die Zinssenkungserwartungen für die USA schossen daraufhin durch die Decke. Noch vor Wochenfrist lag die Wahrscheinlichkeit für eine „kleine“ Zinssenkung (25 Basispunkte) in den USA für die nächste Sitzung am 18. März bei nur sechs Prozent. Aktuell liegt die Wahrscheinlichkeit für einen großen Zinsschritt (50 Basispunkte) zu diesem Termin bei 95 Prozent.

Der Grund für dieses schnelle Umschwenken ist der deutliche Rückgang der Aktien- und Rohstoffpreise in Anbetracht der genannten ökonomischen Herausforderungen. Beides ist gefährlich für die Realwirtschaft. Allein der starke Rückgang der Ölpreise hat das Potenzial, eine weitere Pleitewelle im US-Fracking-Sektor auszulösen und damit die US-BBB-Schuldenbombe zur Explosion zu bringen. Interessant ist, dass die Investmentbank Goldman Sachs nur wenige Stunden vor der Verlautbarung von Jerome Powell genau dieses Umschwenken der Fed angekündigt hatte. Goldman Sachs ist Anteilseigner der Distriktniederlassung der US-Notenbank Fed of New York (Buch: Die Kreatur von Jekyll Island: Die US-Notenbank Federal Reserve – Das schrecklichste Ungeheuer, das die internationale Hochfinanz je schuf). Da die wirtschaftlichen Belastungen und damit auch die anhaltende Risikoaversion bis hin zur Liquiditätsaustrocknung ganzer Märkte sich zu verstärken drohen (zuletzt war auch der „sichere Hafen“ Gold betroffen), müssen die Notenbanken im eigenen Interesse, im Interesse ihrer Anteilseigner und der gesamten Gesellschaft nun zügig und entschlossen handeln.

Was können und müssen die Notenbanken gegen die Auswirkungen des Coronavirus tun?

Die People´s Bank of China und die Regierung der Sonderverwaltungszone Hongkong haben bereits erste massive Schritte unternommen, die als Blaupause für die westlichen Zentralbanken dienen können. Es wurden die Kreditkosten abgesenkt (Schlüsselzinsen), Liquiditätsmaßnahmen in dreistelliger Milliardenhöhe (in US-Dollar) vorgenommen und sogar Geldgeschenke an die Bevölkerung Hongkongs verteilt (1.180 Euro für jeden volljährigen Einwohner).

Immerhin ist es so gelungen, den chinesischen Aktienmarkt etwas zu stabilisieren und größere Firmen und zu Hause eingesperrte Bürger vor dem Bankrott zu bewahren. Problematisch ist weiterhin die Situation der ca. 18 Millionen kleineren Betriebe in China, denen bisher nicht direkt geholfen wurde, die gleichwohl gut 60 Prozent der Arbeitsplätze im Reich der Mitte stellen. Deren Liquiditätsreichweite ist sehr limitiert, bei gleichzeitig hoher Verschuldung und vergleichsweise hohen Kreditkosten. Es sind also auch in China weitere Maßnahmen zur Revitalisierung der Wirtschaft dringend notwendig. Das gilt auch für den Westen, wo die ökonomischen Auswirkungen durch das Coronavirus erst jetzt mit Zeitverzögerung spürbar werden und die Zahl der Infizierten sprunghaft ansteigt.

In den Ländern, in denen noch Potenzial dafür vorhanden ist, werden in Kürze Zinssenkungen folgen. Dies gilt primär für die US-Notenbank Fed. Bereits Mitte des Jahres dürfte eine Null vor dem Komma des US-Leitzinses stehen, was bei den US-Kapitalmarktzinsen bis zu einer Laufzeit von fünf Jahren bereits der Fall ist. Der de facto Leitzins (Effective Fed Funds Rate) liegt aktuell noch bei 1,55 Prozent. Wobei offiziell ein Zinskorridor von 1,5 bis 1,75 Prozent gilt. Da das Zinssenkungspotenzial aber weltweit beschränkt ist, müssen weitere Instrumente aus dem Werkzeugkasten der Notenbanken genutzt werden.

Damit ist der verstärkte Rückgriff auf die sogenannte „unkonventionelle“ Geldpolitik gemeint. Diese kam erstmals im Zuge der Finanzkrise 2008 ff. zum Einsatz und ist bis heute bei allen größeren Notenbanken noch aktiv. Primär geht es dabei um die Erzeugung neuen Geldes aus dem Nichts und dessen Verteilung auf die Wirtschaftssubjekte. Aktuell laufen mehrere solcher „QE“-Programme (Quantitative Easing = geldmengenmäßige Lockerung). Dabei nutzen die Notenbanken ihr Geldschöpfungsprivileg und erzeugen digitales Giralgeld aus dem Nichts, das sie für den Aufkauf von Vermögenswerten aller Art nutzen. In der Vergangenheit kauften sie damit bereits Staatsanleihen, Regionalobligationen, Bankenanleihen, Unternehmensanleihen sowie Asset Backed Securities, Aktien, ETF und Gold.

Durch eine Ausweitung der bestehenden QE-Programme könnten zusätzliche Ausgaben des Staates zur Bekämpfung des Coronavirus finanziert werden. Über den Ankauf von Asset Backed Securities (ABS) kann im großen Stil Liquidität für die Privatwirtschaft sowie für Infrastrukturprojekte zur Verfügung gestellt werden. So könnten direkt und zinslos Konjunkturprogramme aus der digitalen Notenpresse finanziert werden.

Gleichzeitig könnten Marktinterventionen zur Stabilisierung von Aktienkursen und anderen Vermögenswerten genutzt werden. Die Bank of Japan und die Schweizerische Nationalbank kaufen bereits seit Jahren im großen Stil Aktien auf. Die japanische Zentralbank (BOJ) hat bereits 8 Prozent aller Aktien am Kabutochō absorbiert und 77,5 Prozent aller japanischen ETF-Bestände. Eine Stabilisierung der Vermögenspreise ist wichtig für die Konsumbereitschaft und die allgemeine Wirtschaftsstimmung sowie die Eigenkapitalbeschaffung von Unternehmen über die Börse. Selbst wenn betroffene Bürger quarantänebedingt nur von zu Hause aus online einkaufen können, benötigen sie dafür Kaufkraft.

Da nicht alle Wirtschaftssubjekte gleichermaßen von steigenden Vermögenspreisen profitieren, weil sie schlicht keine Aktien besitzen, ist eine weitere Maßnahme denkbar: das digitale Abwerfen von Notenbankgeld über Unternehmen und Privathaushalten (Helikoptergeld). Damit könnten Einnahme- und Lohneinbußen bei den betroffenen abgefedert werden, die durch Quarantänemaßnahmen, Verlust des Arbeitsplatzes oder Geschäftseinbußen entstehen.

Eine weitere Ausbaustufe des Helikoptergeldes wäre das sogenannte „Schwundgeld“, dass die jetzige EZB-Präsidentin Christine Lagarde bereits in ihrer Funktion als Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) für solche Notfälle ins Spiel brachte. Dabei wird zusätzliches Geld von den Notenbanken erzeugt, an die Bürger verteilt und mit einem Verfallsdatum versehen. Dadurch wird sofortiger Konsum erzwungen und die Geldumlaufgeschwindigkeit erhöht. Das Risiko der unkonventionellen Geldpolitik liegt in der überproportionalen Erhöhung der Geldmenge im Vergleich zum Angebot an Gütern und Dienstleistungen. Da bedingt durch die Zerstörung von Lieferketten ohnehin ein Angebotsschock droht, würde es in der Folge der Aufblähung der Geldmenge und der höheren Geldumlaufgeschwindigkeit zu stark steigenden Preisen kommen (Teuerungsschock).

Die meisten Zentralbanken kommen dadurch in Konflikt mit ihren politischen Mandaten. Diese umfassen neben der Stabilität des Finanzsystems und im Falle der Fed der Vollbeschäftigung auch die Preisstabilität. Doch auch hier haben sich die Geldpolitiker bereits flexibel gezeigt. Ein Überschießen der Teuerungsrate könne in Kauf genommen werden, da diese in den letzten Jahren mehrheitlich und signifikant unter den Zielraten der Notenbanken lag. Die DZ-Bank erläutert diese bedeutende Änderung der Inflationssteuerung durch das Umschwenken von einem asymmetrischen Inflationsziel auf ein symmetrisches Inflationsziel in einem Blog-Beitrag am Beispiel der EZB.

Fazit und Ausblick

Unsere moderne und vernetzte Gesellschaft begünstigt durch die weitverzweigten Verkehrsverbindungen und Handelswege die rasche Ausbreitung einer Seuche. Nur durch die Unterbrechung dieser Verbreitungswege kann die Expansionsgeschwindigkeit des Coronavirus eingedämmt werden. Umso langsamer eine Epidemie/Pandemie verläuft, umso besser können Patienten versorgt und Gegenmaßnahmen ergriffen werden.

Gleichzeitig bedeuten diese Gegenmaßnahmen jedoch eine massive Einschränkung der globalisierten Wirtschaft. Und das zu einem Zeitpunkt, wo sich die weltweite Konjunktur trotz Rekordschuldenaufnahme bereits abkühlt. Es gilt nun ein Systemcrash zu vermeiden, der die zwangsläufige Folge einer passiven Geldpolitik wäre. Da Nichtstun in jeder Hinsicht unverantwortlich wäre, sollte dies für die Protagonisten bei den Zentralbanken auch keine Option sein. Welche der genannten Maßnahmen umgesetzt werden oder ob es sogar weit darüber hinaus geht, ist nicht seriös prognostizierbar. Fakt ist aber, dass die Zentralbanken handeln müssen, um einen Kollaps des Finanz- und Wirtschaftssystems zu vermeiden. Sie müssen dabei schnell, unkonventionell und abhängig vom ökonomischen Schaden und der Panik an den Finanzmärkten aggressiv vorgehen.

Die Folgewirkungen dieser unkonventionellen geldpolitischen Notfallmaßnahmen sind momentan nur grob einschätzbar aber in Hinblick auf das Alternativszenario dennoch zu präferieren. In einem Folgeartikel werde ich noch die möglichen Auswirkungen der nun folgenden geldpolitischen Notfallmaßnahmen auf die Finanzmärkte detailliert beleuchtet.

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